4, 5 oder 6 – Wie viele Arbeitstage dürfen (sollen) es sein? (Teil 3)
Das jüngste Beispiel VW zeigt es erneut: In Deutschland dominiert aktuell die Diskussion um die 4-Tage-Woche. Doch leider – wie bei VW – nicht immer aus erfreulichem Anlass. Wie in den beiden ersten Folgen unseres Blogs rund um die 4-, 5- und 6-Tage-Woche erörtert, lassen sich je nach Ausgestaltung durchaus gute Gründe für eine 4-Tage-Woche finden, aber auch Argumente dagegen. Wir wollen hier nun einige Argumente zur 6-Tage-Woche erörtern, die auch etwas abseits der üblichen Diskussionen und Publikationen zu diesem Thema liegen.
Aus dem gleichen Grund, aus dem in Deutschland die 4-Tage-Woche erörtert und teils auch schon eingeführt wird, nämlich als Instrument zur Behebung des Fachkräftemangels, wird in anderen Ländern eine 6-Tage-Woche diskutiert … und umgesetzt! Wie kommt das und was sind die Vor- und Nachteile einer solchen Regelung?
Die 6-Tage-Woche: „Vorbild“ Griechenland?
Die Debatte über die Einführung einer 6-Tage-Woche ist in vielen Ländern kontrovers. Aktuell sorgt Griechenland für Schlagzeilen. Mit der Einführung der 6-Tage-Woche geht das Land einen Schritt, der in Zeiten von Work-Life-Balance wirkt. „Dazu muss man sich klarmachen, dass zwar sowohl die 4- als auch die 6-Tage-Woche im Kontext des Fachkräftemangels diskutiert werden, aber mit ganz anderen Zielsetzungen“, ordnet Prof. Dr. Michael Knörzer vom APRIORI HR:LAB die gegensätzliche Argumentation ein: „In Deutschland wird die 4-Tage-Woche meist als Arbeitgeberattraktivitätsmerkmal angesehen. Das lässt sich im Kampf um Fachkräfte als Teil der Arbeitgebermarke gut platzieren. In Griechenland dient die 6-Tage-Woche tatsächlich einer Ausweitung der Verfügbarkeit von Arbeitszeit. Keines der beiden Argumente ist falsch, denn beide Länder bewegen sich in unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Kontexten. Eine 6-Tage-Woche in einer stagnierenden Volkswirtschaft wäre eher paradox. Es sei denn, sie diene als Flexibilisierungsinstrument zu starrer Arbeitszeitmodelle, die den Bedürfnissen von Unternehmen und Mitarbeitern nicht mehr entsprechen“.
Werfen wir dazu einen Blick auf die neue gesetzliche Regelung in Griechenland. Diese erlaubt die Einführung eines weiteren Arbeitstages pro Woche im Umfang von bis zu acht Stunden. Doch das hat seinen Preis: die Lohnzuschläge betragen an einem Samstag 40%, sonn- und feiertags sogar 115%. „Klingt erst einmal ganz interessant. Vor allem wenn man bedenkt, dass diese Regelung auf gegenseitiger Freiwilligkeit beruhen soll. Der Arbeitgeber erkauft sich zeitliche Flexibilität, die Arbeitnehmer können deutlich höhere Stundenlöhne erzielen“, erläutert Prof. Knörzer die Grundidee., räumt aber einige Bedenken ein, die wir im Folgenden darlegen.
Ein Blick zurück: Lieber weniger, als mehr
Wie wir im ersten Teil dieser Blogserie beschrieben haben, gibt das deutsche Arbeitszeitgesetz gemäß §3 eine ähnliche Arbeitszeitgestaltung wie in Griechenland grundsätzlich her.
ArbZG§ §3: Arbeitszeit der Arbeitnehmer
„Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.“
„Von daher haben wir in Deutschland einen Rechtsrahmen, der die 6-Tage-Woche vorsieht. Werktage sind Montag bis Samstag. Kulturell hat sich faktisch in den allermeisten Branchen bzw. Berufen eine 5-Tage-Woche etabliert, die von vielen als wichtige soziale Errungenschaft gesehen wird und die von Gewerkschaften hart erkämpft wurde“, stellt Prof. Knörzer klar (siehe hierzu auch Teil 1 unserer Blogreihe). Und das gilt nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Industrienationen, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. „Insofern muss die gesellschaftliche Bereitschaft, sich gedanklich eher mit einer 4- als mit einer Rückkehr zur 6-Tage-Woche zu beschäftigen, auch aus der Historie heraus und nicht nur vor der aktuellen Diskussion um die Balance von Arbeits- und Lebenskonzepten verstanden werden“, erläutert Prof. Dr. Knörzer: „Was viele nicht wissen: Bereits Anfang der 1970er Jahre wurde in den USA schon die 4-Tage-Woche diskutiert und damit experimentiert. Das betraf immerhin mehrere hundert Unternehmen und ca. 75.000 Arbeitnehmer. Breitflächig durchgesetzt hat sich das Konzept aber nicht. Oft war die 4-Tage-Woche ohne Lohnausgleich ein Rettungsinstrument zum Erhalt von Arbeitsplätzen. Beispielsweise hatte VW zu Zeiten meines Studiums [genau 1994] bereits einmal eine 4-Tage-Woche eingeführt. Das war damals ein großes Experiment und Diskussionsthema in der Personalwirtschaft“.
Bewertung der 6-Tage-Woche
In unserem Blog zur 4-Tage-Woche hatten wir bereits diskutiert, dass eine solche mit Arbeitszeitverkürzung (also ohne Anpassung der täglichen Arbeitszeit auf etwa zehn Stunden) durchaus mit Produktivitätszuwächsen der Arbeitnehmer verknüpft ist. Und wie sieht es bei der 6-Tage-Woche mit der Produktivität aus? „Hier bleibt umgekehrt oft der vermeintliche Produktivitätszuwachs hinter der Verlängerung der Arbeitszeit zurück. Sprich: ein Arbeitstag mehr „Input“ entspricht nicht 20% „Outcome“, Aber das hängt stark von der genauen Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsprozesse ab“, dämpft Prof. Knörzer voreilige Erwartungen aus Unternehmenssicht. Und aus Perspektive der Mitarbeiter? Ein Argument für die 6-Tage-Woche ist die zunehmende Flexibilität in der Arbeitswelt. Einige Befürworter betonen, dass eine größere Auswahl an Arbeitstagen es ermöglichen kann, individuelle Arbeitszeiten besser an die persönlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer anzupassen. So könnten Arbeitnehmer selbst entscheiden, wie sie ihre wöchentlichen Arbeitsstunden verteilen. „Ich sehe in diesem Kontext einen positiven und einen negativen Gesichtspunkt“, ergänzt Prof. Knörzer: „Einerseits kann eine 6-Tage-Woche durchaus dem Zeitmanagement von Menschen entgegenkommen, denn Arbeit strukturiert den Tag. Die Aussicht an sechs Tagen jeweils sechs Stunden zu arbeiten und dann – gerade in Kombination mit Telearbeit – immer noch früh „Feierabend“ zu haben, mag für manche attraktiver sein, als an vier Tagen neun Stunden zu arbeiten. Wenn man diese Haltung Menschen zugesteht, dann kann die 6-Tage-Woche durchaus auch im Sinn der Arbeitnehmer sein. Andererseits sehe ich ein Problem dann, wenn die 6-Tage-Woche als „pseudo-freiwilliger“ Zusatzarbeitstag käme. Dann entsteht möglicherweise ein normativer Druck auf Arbeitnehmer, etwa statt 35 an fünf nun 42 Stunden an sechs Tagen zu arbeiten, obwohl die persönlichen Präferenzen eher auf mehr Zeit mit der Familie liegen. Dann kann der Mehrarbeitszuschlag den verlorenen Samstag mit den Kindern auch nicht aufwiegen“.
Einer der größten Nachteile der 6-Tage-Woche ist zudem die erhöhte Belastung für Arbeitnehmer. Mehr Arbeitstage bedeuten weniger Erholungszeit “am Stück”. Das Risiko von Burnout, chronischem Stress und gesundheitlichen Problemen steigt. „Es gibt klare wissenschaftliche Belege dafür, dass eine zu hohe Arbeitsbelastung auf Dauer negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeiter hat. Die Einführung der 6-Tage-Woche muss sehr sorgfältig abgewogen werden, insbesondere in Hinblick auf Langzeiteffekte auf die Arbeitskraft und die Gesundheitskosten“, so Prof. Dr. Michael Knörzer „Damit aus der höheren Belastungen keine Beanspruchungen für die Mitarbeiter werden, müssen diese auch die Ressourcen bereitgestellt bekommen, um damit umzugehen. Da müssen BGM und HRM ineinandergreifen, sonst resultiert eine 6-Tage-Woche schnell in höherer Fluktuation und Absentismus. Und dann ist das Gegenteil von dem erreicht, was angestrebt war“.
Obwohl die 6-Tage-Woche kurzfristig positive wirtschaftliche Effekte haben kann, ist es fraglich, ob diese auf lange Sicht Bestand haben. Die Erschöpfung der Arbeitnehmer könnte zu einem Anstieg von Fehlzeiten und einer geringeren Produktivität führen. Zudem könnten Unternehmen vor der Herausforderung stehen, qualifizierte Mitarbeiter zu halten. „Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum erfordert mehr als nur eine Ausweitung der Arbeitszeit. Es braucht technologische Innovationen, Investitionen in Aus- und Weiterbildung sowie eine Kultur der Produktivität, die nicht auf Überarbeitung, sondern auf Effizienz basiert. Daran sollten wir denken, und nicht einfach unreflektiert auf Griechenland verweisen, das unter anderen Rahmenbedingungen agiert“, erläutert Prof. Dr. Michael Knörzer.
Die Einführung der 6-Tage-Woche, wie sie aktuell in Griechenland geschieht, ist ein Schritt, der sowohl Chancen als auch Risiken birgt. Während die wirtschaftlichen Vorteile wie gesteigerte Produktivität und Flexibilität in bestimmten Branchen von Vorteil sein können, sind die Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeitnehmer und die Work-Life-Balance kritisch zu hinterfragen. Wie Prof. Dr. Michael Knörzer abschließend betont: „Es gibt keine pauschale Antwort auf die Frage, ob die 6-Tage-Woche ein zukunftsfähiges Modell ist. Jedes Unternehmen muss individuell abwägen, welche Arbeitszeitmodelle für welche Jobs langfristig die besten Ergebnisse für Wirtschaft, Mitarbeiter und Gesellschaft liefern. Eine zunehmende Arbeitszeitflexibilisierung, die in einem Unternehmen viele Zeitmodelle mit parallelen 4-, 5- und 6-Wochen zulässt, wird vielleicht den vielfältigen Lebenswirklichkeiten von Menschen am ehesten gerecht werden“.