6 Gründe: Warum hybride Home-Office Modelle nicht New Work sind
- Viele Unternehmen proben den Abschied von der Präsenzkultur und wollen ihre Mitarbeiter dauerhaft ins Home-Office entsenden.
- Sie versprechen sich finanzielle Vorteile durch den Abbau von Büroflächen.
- Wir diskutieren, ob dieses Kalkül für Unternehmen aufgeht.
Home-Office: Unternehmen versprechen sich Kosteneinsparungspotenziale
Während der Coronakrise gehörte die Allianz zu den Arbeitgebern, die 90 Prozent ihrer Mitarbeiter ins Home-Office schickte und nun auf den Geschmack gekommen ist. Über kurz oder lang sollen 40 Prozent der Angestellten dauerhaft von zu Hause arbeiten.
Auch bei Siemens frohlockt die Geschäftsleitung euphorisch: „Home sweet Home-Office.“ Hier sollen die Mitarbeiter künftig an drei Tagen in der Woche remote arbeiten. Ins gleiche Horn blasen unter anderem die Entscheidungsträger der Deutschen Bank oder von JP Morgan. Sie alle liebäugeln mit einem Hybridmodell für ihre Mitarbeiter: Diese sollen künftig ein paar Tage in der Woche im Präsenzmodus arbeiten, den Rest im Home-Office.
Ausschlaggebend für die Euphorie sind zwei Punkte:
- Remote Working hat in der Krise vielen Fällen besser geklappt als gedacht.
- Betriebe wollen Büroflächen einsparen.
Unternehmen identifizieren Homeoffice als Kostensenker
Aus wirtschaftlicher Perspektive ist dieser Gedanke durchaus nachvollziehbar. Immerhin machen Büroflächen einen erheblichen Kostenfaktor aus. In Spitzenlagen wie in Frankfurt schlägt ein einziger Büroarbeitsplatz im Durchschnitt mit über 15.000 Euro pro Jahr zu Buche. Bei nur 10 Mitarbeitern müssen Unternehmen also 150.000 Euro berappen, bei 20 schon 300.000 Euro per anno und so weiter.
Geld, das eingespart werden und zum Beispiel in den Ausbau der eigenen digitalen Infrastruktur gesteckt werden könnte, oder um weiteres hoch qualifiziertes Personal anzuheuern. So mancher Firma würde das helfen, nach der Corona-Krise wieder durchzustarten. Fraglich ist allerdings, ob diese Rechnung aufgeht. Können ein paar behelfsmäßige Wochen im Home-Office wirklich die Grundlage für einen so grundlegenden Organisationsumbau sein? Wir diskutieren 6 Faktoren, die aus unserer Sicht dagegensprechen.
6 Gründe, warum der Kurswechsel scheitern kann
#1 EIN ZU FLEXIBLES HYBRIDMODELL TRÄGT NICHT ZWINGEND ZUM ABBAU VON BÜROFLÄCHEN BEI
Sobald ein Hybrid-Arbeitsmodell zum Tragen kommt, bei dem Mitarbeiter recht situativ und flexibel wählen können, wann und wo sie arbeiten, ist ein Abbau von Büroflächen im großen Stil nicht möglich. Stattdessen müssen Unternehmen einen gewissen Überhang an Büroräumen einplanen – für die Tage, an denen spontan viele Mitarbeiter ins Office kommen. Gleichzeitig müssen sie damit rechnen, dass es Tage geben wird, an denen gähnende Leere im Büro herrscht. Unterm Strich ist das mehr als unwirtschaftlich, weil Büroflächen in großen Teilen ungenutzt leer stehen.
#2 EIN ZU STARRES HYBRIDMODELL ERSTICKT FLEXIBILITÄT IM KEIM
Die Alternative: Ein extrem starres Hybridmodell, bei dem exakt festgelegt wird, wann und wie lange Präsenz-Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Mitarbeiter könnten sich beispielsweise per Buchungssystem ihren Arbeitsplatz tageweise oder für ein paar Stunden „anmieten“. Das wäre wirtschaftlicher und Büroflächen könnten wie geplant abgebaut werden.
Allerdings erhöht sich damit der bürokratische Aufwand für alle Seiten immens und zerstört jede Form der Flexibilität im Keim, falls sich Bedürfnisse vor Ort ad hoc verändern. Was ist zum Beispiel, wenn der gebuchte Arbeitsplatz länger benötigt wird als vorhergesehen, aber bereits von einem anderen Mitarbeiter „gemietet“ wurde?
#3 UNTERNEHMEN BRAUCHEN NEUE HIERARCHIEEBENEN
So oder so vergrößert ein Hybrid-Arbeitsmodell den Planungsaufwand für Führungskräfte. Sie müssen stets im Blick behalten, wer, wann, wie, wo und wie lange erreichbar ist. Das kostet wertvolle Zeit. Wie soll unter diesen Umständen noch die qualitativ hochwertige strategische Arbeit geleistet werden, die eigentlich von ihnen erwartet wird?
Eine mögliche Lösung für das das Problem bestünde in der Minimierung von Teamgrößen und dem Einführen neuer Hierarchieebenen. Dann wären Manager nur noch für kleine Einheiten zuständig bei überschaubarerem Personalführungsaufwand. Allerdings verkompliziert eine komplexe Hierarchiestruktur wiederum Entscheidungswege, was der Agilität eines Unternehmens abträglich ist.
#4 INFORMELLER WISSENSFLUSS GEHT VERLOREN
Verabschieden sich Unternehmen in großen Teilen ins Home-Office, leidet außerdem die Innovationsfähigkeit. Denn der spontane Austausch, der für neue Ideen und kreative Einfälle entscheidend ist, findet nur noch sehr eingeschränkt statt. Der schnelle Gang zum Kollegen am Nachbartisch oder ins Büro des Chefs, der kurze Talk im Flur oder beim Mittagessen – all das entfällt. Doch der dabei stattfindende informelle Wissenstransfer macht 80 Prozent der Kommunikation eines Unternehmens aus. Und hierbei entstehen nachweislich die besten Ideen.
#5 DAS BISHERIGE LEADERSHIP-WISSEN VERALTET
Auch im Bereich Leadership müssen Kompetenzen neu entwickelt werden. Professor Michael Knörzer, Leiter des HR:Labs von Apriori: „Was wir aus der Führungsforschung wissen: Führungs-Wissen ist stark kontextabhängig. So mancher Manager, der Hybrid-Teams leiten soll, wird die Erfahrung machen, dass Dinge, die vor Ort bislang intuitiv immer gut geklappt haben, bei der virtuellen Führung auf einmal nicht mehr funktionieren. Auf der anderen Seite kann es aber auch sein, dass Führungskräfte, die bislang im Präsenz-Modus nicht so erfolgreich waren, mit den neuen Strukturen deutlich besser zurechtkommen.“ Hier bedarf es gezielter E-Leadership-Programme, um fehlende Kompetenzen auszugleichen.
#6 MEHR AUFWAND, GLEICHBLEIBENDES GEHALT
Wie wir gesehen haben, steigen die Herausforderungen für das Management bei einem Hybridmodell massiv. Normalerweise schlägt sich das wiederum im Gehalt nieder. Mindestens für dieses Jahr sind veränderte Vergütungsstrukturen jedoch nicht prognostizierbar. Für die aktuelle APRIORI-Arbeitsmarktstudie haben wir die derzeitigen Marktgegebenheiten beispielhaft für den IT-Sektor untersucht und keine Hinweise gefunden, dass Gehälter im Management-Segment steigen.
Im Gegenteil. Laut unserer Erkenntnisse treffen Arbeitnehmer mit leitender Stellung die negativen wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Monate in diesem Jahr besonders stark. Hier konnten Quartalsziele in großen Teilen nicht erfüllt werden, was die Auszahlung flexibler Gehaltsbestandteile massiv schmälert.
Fazir: Das Hybridmodell ist nicht die Lösung
Wir haben gesehen: Das angedachte Hybridmodell führt nicht zu dem gewünschten Erfolg. Wer sich wirklich vom Präsenzmodell verabschieden will, muss noch einen Schritt weiter gehen und alle Prozesse remote steuern. Physische Treffen vor Ort fänden dann nur noch bei Kick-Offs, Teammeetings oder Firmenveranstaltungen statt.
Das würde viele Probleme mit einem Schlag lösen:
- Büroräume könnten auf ein Minimum reduziert werden
- Es gäbe keinen zusätzlichen Planungsaufwand, weil alle Mitarbeiter konsequent im Home-Office erreichbar wären.
- Mitarbeiter und Führungskräfte müssten sich nicht auf zwei Arbeitsmodelle verstehen, sondern könnten gezielt auf die Remote-Arbeit vorbereitet werden.
- Teamgrößen müssten nicht reduziert werden.
- Es entstünden keine neuen Gehaltsansprüche im Manager-Segment, weil sich Personalführungsaufgaben zwar verändern, aber nicht steigen.
Ergo: Wer sich ernsthaft für die neue Arbeitswelt entscheiden will, sollte keine halben Sachen machen.