Differenzierung: Die umstrittenste Methode zur Mitarbeiterbeurteilung – zu Recht?
Die Methode ist effektiv, gilt aber als eine der kühlsten Managementtheorien zur Mitarbeiterbeurteilung überhaupt: Das Prinzip der Differenzierung nach Jack Welch, das Mitarbeiter in Typ A, B oder C einstuft, wobei Mitarbeiter des Typs C direkt das Ticket für die Abschussrampe ausgestellt bekommen. Ist das noch zeitgemäß?
Differenzierung oder Forced Ranking zur Mitarbeiterbeurteilung: Was ist das?
Differenzierung, auch Forced Ranking genannt, ist eine Methode der Mitarbeiterbeurteilung. Ausgedacht wurde sie von Jack Welch, dem ehemaligen CEO von General Electrics (GE).
Das System funktioniert wie folgt: Einmal im Jahr teilt jeder Bereichsleiter sein Team in drei Kategorien ein. Die besten 20 Prozent sind Typ A, die durchschnittlichen 70 Prozent sind Typ B und die schlechtesten zehn Prozent sind Typ C.
Von diesem Employee Ranking hängt die Bezahlung ab. Mitarbeiter des Typs C sind laut Theorie die, von denen sich ein Unternehmen am ehesten trennen sollte. Sie machen maximal Dienst nach Vorschrift.
Forced Ranking: Die Problematik der Differenzierung
Die Idee dazu kam Welch zu Beginn seiner Laufbahn, als er 1961 direkt nach seinem ersten Jahr als Ingenieur bei GE, die Kündigung einreichte. Der Grund: Er hatte dieselbe Standard-Gehaltserhöhung wie alle anderen bekommen. Das passte ihm nicht.
Der Vorgesetzte seines Chefs lud Welch zum Abendessen ein. Der Rest ist Geschichte: Der künftige CEO von General Electrics handelte das Dreifache heraus. Damit war der Grundstein für einen neuen Führungsstil und eine neue Form der Mitarbeiterbeurteilung gelegt. Welsh nannte sein Modell der Mitarbeiterführung Differenzierung.
Mitarbeiterbeurteilung: Die Geburtsstunde der Differenzierung
Dass es funktioniert, steht außer Frage. Welsh baute General Electrics damit zu neuer Größe auf und steigerte den Umsatz von 27 Milliarden US-Dollar im Jahr 1981 auf 130 Milliarden US-Dollar im Jahr 2001.
Die Kehrseite: Über die Jahre verloren mehr als 100.000 Mitarbeiter ihre Jobs. Das trug Welsh den Spitznamen „Neutronen-Jack“ ein – benannt nach der Bombe, die Menschen tötet, aber die Gebäude stehen lässt. Doch letztlich gaben ihm die guten Zahlen des Konzerns Recht.
Die Kehrtseite der Differenzierung
Wer exzellent arbeitete, fand bei GE beste Bedingungen vor. Denn Welch lag die Entwicklung von Talenten durchaus am Herzen. „Mein Job ist es, die besten Leute auszusuchen und mit Dollar zu versorgen“, wird er in der Literatur zitiert. „Mitarbeitergeschenke“ wie Qualitätssicherungsprogramme und eine Vielzahl von Ausbildungsmöglichkeiten innerhalb GE bauten Mitarbeiter auf, die im weiteren Verlauf ihrer Karriere dann auch von anderen Firmen mit Handkuss eingestellt wurden.
Inzwischen stößt das radikale Prinzip der Differenzierung jedoch an seine Grenzen. Der Haken an dieser Methode ist nämlich, dass Führungskräfte ihre Leute nach einem festen Schlüssel auf die verschiedenen Leistungsstufen verteilen müssen.
Microsoft wandte sich von der Differenzierung ab
Selbst wenn alle gute Leistungen erbringen, müssen zehn Prozent auf die schwarze Liste. Daher auch der Beiname „Forced Ranking“. Forced steht für „gezwungen“. Und im krassesten Fall bekommen die, die auf der schwarzen Liste stehen, direkt das Kündigungsschreiben in die Hand gedrückt.
Auch wenn es in amerikanischen Arbeitsleben etwas harscher zugeht als hierzulande, wenden sich auch in den USA Firmen von dem radikalen Führungsmodell der Differenzierung ab. Microsoft etwa: In einem Memo verkündete Vorstandschef Steve Ballmer im April 2011, dass ein neues Bewertungsmodell zur Mitarbeiterbeurteilung eingeführt werde.
Jeder Beschäftigte sollte nach einem klaren, nachvollziehbaren System in eine von fünf Leistungsklassen eingeordnet werden. Es gab feste Anteile für jede Gruppe – keine durfte leer bleiben. Die Zugehörigkeit bestimmte die Bezahlung, und wer in der Gruppe der unteren sieben Prozent landete, durfte nicht versetzt oder befördert werden – höchstens endgültig an die frische Luft. Welshs Prinzipien in Reinkultur!
Kaum zwei Jahre später war Schluss mit dem System. Warum? Ganz einfach, weil das Forced Ranking heute den Tod guten Unternehmenskultur bedeutet. Der Grund: Früher arbeiteten Arbeitnehmer weniger teambezogen. Inzwischen ist agile Projektarbeit Gang und Gäbe. Diese basiert auf regelmäßigem und freiem Austausch von Ideen, um so das gemeinsame Projekt voranzubringen. Das gelingt kaum in einer Unternehmenskultur, in der zwingend zehn Prozent der Belegschaft Jahr für Jahr „ausgemustert“ werden.
Ist die Differenzierung Innovationsfeindlich?
Was dann passiert, ist absehbar:
- Wenn nicht die eigene Leistung, sondern die Leistung im Vergleich mit anderen Mitarbeitern zählt, kann es sich lohnen, andere Mitarbeiter absichtlich dumm dastehen zu lassen und gute Ideen für sich zu behalten.
- Auch möchte niemand mit einem so genannten Low Performer zusammenarbeiten, der die eigene Leistung nach unten ziehen könnte.
Hier besteht ganz klar Nachbesserungsbedarf, befinden auch die Autoren J. Knoblauch und B. Kuttler, die in ihrem Buch „Das Geheimnis der Champions“ die Erfolgsgeheimnisse von 30 Playern untersucht haben, die dick im Geschäft sind.
Ihr Ansatz ist nicht in einer völligen Abkehr des A-, B- und C-Prinzips zu suchen, sondern in einer Personalauswahl, die von vornherein ausschließlich A-Mitarbeiter ins Unternehmen lässt.
B- und C-Mitarbeiter müssen draussen bleiben
Ihr Credo: Unternehmen, die ihr Recruiting radikal auf A-Mitarbeiter ausrichten, ermöglichen ihrer Organisation, maximale Erfolge zu feiern. Tatsächlich haben Firmen wie Google auf diese Weise eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte hingelegt.
Die Autoren zitieren Google-Chef Larry Page mit den Worten:
„Wenn es nur einem B-Mitarbeiter gelingen würde, in unser Unternehmen einzudringen, dann hätten wir uns einen Virus eingefangen, der nur ganz schwer wieder zu entfernen ist.“
Um dies zu vermeiden werden bei Google pro Bewerber bis zu 30 Jobinterviews geführt.
Aus einem einfachen Grund: Bewerbung lesen und beurteilen, Gespräch führen und den Arbeitsvertrag unterzeichnen – dieses Vorgehen geht nicht auf.
Bei Google sprechen neue Mitarbeiter mit einzelnen Kollegen, dem Team, unterschiedlichen Vorgesetzten und dem Chef. Denn der neue Mitarbeiter soll seine Fähigkeiten zusammen mit diesen Menschen einbringen. Die Chemie muss also stimmen. Stichwort: Cultural Fit.
Die neue Form der Differenzierung
Parallel tun erfolgreiche Firmen analog zu Jack Welsh alles dafür, dass der Arbeitsplatz zu einem Ort wird, an dem sich High Performer wohlfühlen. Wobei das im Gegensatz zu Welshs Vorgehen alle Employees einbezieht – es gibt ja keine B- und C-Mitarbeiter im Unternehmen.
Die Wertschätzung für die Mitarbeiter drückt sich durch kostenloses Essen aus, Massagemöglichkeiten oder gemeinsame Freizeitaktivitäten. Das sorgt für Motivation, ein enges Miteinander und ein Umfeld, in dem die Ideen nur so sprudeln.
Was die Mitarbeiterbeurteilung der bestehenden Belegschaft angeht, schlagen Knoblauch und Kuttler ebenfalls mildere Töne an als Welsh. In ihren Augen läuft dieser Prozess idealerweise so ab:
- Anhand eines Leistungsbeurteilungsbogens, der Punkte wie Fachkenntnis, Weiterbildung, Einsatzbereitschaft oder Freundlichkeit beinhaltet, bewerten Mitarbeiter und Führungskraft die Leistung unabhängig voneinander. Darauf basierend wird das jährliche Mitarbeitergespräch geführt.
- Alle zwei, drei Jahre wird der Spieß umgedreht: Jetzt dürfen die Mitarbeiter ihre Vorgesetzten beurteilen. Nach einem ähnlichen Prinzip wie die Mitarbeiterbeurteilung werden Führungskräfte nach ihren Fähigkeiten benotet, denn auch sie performen mehr oder weniger gut. Und nur die besten Führungskräfte werden die besten Mitarbeiter für sich gewinnen und an sich binden können.
- Wer sich als „Underperformer“ erweist, muss nicht gleich mit der roten Karte rechnen. Wozu gibt es schließlich Führungskräfte- oder Mitarbeiterentwicklungstrainings?
Na, also: A, B und C geht auch deutlich menschlicher!