„Back to the 90s“? – Die Rückkehr historischer Managementtrends und ihre aktuellen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt (Teil 1)
Wer in den an Managementtrends gewiss nicht armen 1990er Jahren „BWL“ studierte (falls Sie zur Generation Z gehören, dann fragen sie mal ihre Eltern), kann sich sicher noch an Shareholder Value, Downsizing, Lean Management, Outsourcing, Global Sourcing, Offshoring und andere Managementkonzepte erinnern, die zwar in ihren Kernideen teils schon älter waren, aber in diesem Jahrzehnt ihren großen Durchbruch erlebten. Und manche(r) reibt sich angesichts der aktuellen Entwicklungen etwas verwundert die Augen. Denn einige dieser – zwischenzeitlich außer Mode gekommen zu sein scheinenden – Dinosaurier der Unternehmensführung feiern gerade ihre Wiederauferstehung, vermutlich deshalb, weil sie nie richtig begraben waren. Werfen wir einen Blick auf einige dieser Entwicklungen, die letztlich im Rahmenthema unserer kleinen Blog-Reihe münden: Den aktuellen Anpassungsstrategien hinsichtlich ihres Personals und die Implikationen für den Arbeitsmarkt.
Tesla baut eine „Gigafactory“ im märkischen Grünheide, Microsoft investiert über 3 Mrd. Euro in Nordrhein-Westfalen und dem Rhein-Main-Gebiet in den Ausbau seiner KI-Infratstruktur und Cloud-Kapazitäten, Intel investiert (ebenso rekordwürdig subventioniert) sogar das Zehnfache in Sachsen-Anhalt. Es scheint doch gut um den Industriestandort und Arbeitsmarkt in Deutschland zu stehen … könnte man meinen.
Während im Rahmen der Corona-Pandemie, des sich nahtlos anschließenden Ukraine-Krieges, der Havarie des Containerschiffs „Ever Given“ im Suezkanal oder der aktuellen Unterbrechung der Schifffahrtsrouten im Roten Meer und Golf von Aden manche vermeintlich selbstverständlichen Lieferketten zusammenbrachen und Güter, von Gas über Kopfschmerztabletten und Antibiotika, von Seltenen Erden bis zu Mikrochips oder Zulieferteilen für Staubsauger und Autos, nicht mehr oder nur noch deutlich teurer verfügbar waren oder sind, forderten viele Vertreter aus Wirtschaft und Politik eine Rückverlagerung von Produktionen nach Deutschland oder zumindest in die EU, um Abhängigkeiten zu reduzieren und Lieferketten zu stabilisieren. „De-Risking“ wurde zum Schlagwort dieses Trends. Aber auch Erwartungen aus dem kommenden Lieferkettengesetz, der ESG-Berichterstattung und verschiedener Stakeholder an ethische Unternehmensführung etc. lassen für manche Unternehmen den Druck steigen, ihr Engagement im Ausland – etwa China – zu überdenken, wie die jüngsten Beispiele von BASF und VW zeigen. Also zurück nach Deutschland? Neue Chancen für den Industriestandort Bundesrepublik und den heimischen Arbeitsmarkt? Wohl kaum, wie ein genauerer Blick zeigt. Beispielsweise sagte Dirk Elvermann, CFO und CDO der BASF SE, kürzlich in einem dpa-Interview, man gehen davon aus, dass 80% des weltweiten Wachstums in der Chemie in China stattfänden; konsequenterweise müsse man auch vor Ort investieren, weil der Umsatzanteil des chinesischen Marktes im Konzern sogar steigen soll, wenn auch risikogesichert. Insofern können wir uns auch nicht der Interpretation anschließen, wie es teilweise in der Presse zu lesen war, dass sich BASF aufgrund des Verkaufs zweier Joint Ventures aus China zurückziehe oder sogar wieder den Industriestandort Deutschland stärken würde. Im Gegenteil: So sollen allein bis 2026 am Heimatstandort Ludwigshafen Kosten von über 1 Mrd. Euro eingespart werden, inklusive Stellenabbau und Stilllegungen, gab CEO Martin Brudermüller bei der BASF-Bilanzvorstellung im Februar 2024 bekannt.
Aber BASF ist nur eines von vielen Unternehmen, die gerade von der Kombination aus traditionell hohen Lohnkosten, Energiekosten und Steuersätzen in Verbindung mit hohen umwelt- und arbeitsrechtlichen Regulierungen sowie großem Bürokratieaufwand überlegen, ob man nicht doch im Ausland einfacher und günstiger produzieren kann. So gehen in diesen Tagen oft Ankündigungen von Entlassungen, Standortschließungen und „sanftem“ Stellenabbau einher mit Ankündigungen eines Stellenaufbaus im Ausland und Produktionsverlagerungen. „Dass dazu Urgesteine der deutschen Industrie wie Miele, Bosch und ZF Friedrichshafen gehören, sollte besonders nachdenklich machen“, meint Prof. Dr. Michael Knörzer vom APRIORI HR:LAB und ergänzt: „Auch, dass die Verlagerungspläne ins Ausland beispielsweise Länder wie Polen und die USA betreffen, die man kaum noch als klassische Billiglohnländer bezeichnen kann, ist bemerkenswert. Wenn selbst eine nicht gerade im Niedrigpreissegment angesiedelte Miele-Waschmaschine in Deutschland aufgrund der Kostensituation betriebswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll herzustellen ist, dann zeigt dies, dass die Sorgen um den Industriestandort Deutschland durchaus ernst zu nehmen sind und der Begriff der Deindustrialisierung nicht nur ein politisches Schlagwort ist, sondern bestimmte Tendenzen durchaus treffend beschreibt“. Als weiteres Beispiel nennt Prof. Knörzer ein anderes Standbein der deutschen Industrie, die Automobilzulieferer: „Während Schaeffler in Deutschland Stellen abbaut und Arbeitszeiten verkürzt, werden lieber in den USA Standorte ausgebaut und in Ohio sogar ein neuer Standort geschaffen. Ähnliches passiert auch bei Bosch. Und wir reden hier nicht nur von Jobs in der Produktion, sondern in Forschung und Entwicklung. Wenn man dies in Beziehung zu den großen Investitionen internationaler Hightech-Unternehmen in Deutschland setzt, dann ergibt sich hier ein bemerkenswertes Spannungsfeld“. Wie diese Entwicklungen im Branchenvergleich einzuordnen sind und welche Mitarbeitergruppen davon betroffen sind, werden wir in weiteren Blogs analysieren. In dieses etwas düstere Bild der Zukunft des Industriestandorts Deutschland im Bereich der Automobilzulieferindustrie passen aber auch viele andere aktuelle Meldungen. „Wenn Michelin in Deutschland drei Standorte in Trier, Karlsruhe und Trier mit 1500 Mitarbeitern schließen will und ein Kundenzentrum mit 800 Arbeitsplätzen nach Polen verlagern will, dann ist das kein gutes Signal. Auch der Konkurrent Goodyear plant Werksschließungen. Da fällt es schwer, noch von Einzelfällen zu sprechen“, ergänzt Prof. Knörzer. Andererseits machten positive Investitionsentscheidungen, wie zu Beginn des Blogs dargestellt, auch Hoffnung, wenn auch nur begrenzt: „Vielleicht erleben wir gerade eine weitere Transformationsphase der deutschen Wirtschaft, in der wir als klassischer Industriestandort mit international sehr hohen Energie- und Lohnkosten einfach nicht mehr bedingungslos konkurrenzfähig sind. Verweise auf eine vermeintlich höhere Produktivität reichen da nicht mehr aus. Und auch im Bereich der Hochtechnologie dürfen wir im internationalen Standortwettbewerb nicht stehenbleiben. Wie uns das angesichts eines Rückgangs der Erwerbsbevölkerung, stagnierender Schul- und Hochschulausbildung und sinkenden Arbeitszeiten gelingen will, bleibt abzuwarten”.