Die 6 Merkmale des typischen „Fraudster“
Am 03. November 2015 überschlugen sich die Nachrichten: Die Steuerfahndung durchsucht die DFB-Zentrale in Frankfurt und die Privathäuser des amtierenden DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach und seines Vorgängers Dr. Theo Zwanziger, die amerikanische Umweltbehörde EPA erhebt neue Vorwürfe gegen VW, Audi und Porsche, VW gibt zu, auch CO2- und Verbrauchswerte weiterer Motorenmodelle manipuliert zu haben. Grund genug für uns, das Thema Fraud Management nochmals aufzugreifen.
Die aktuellen Beispiele rund um das Organisationskomitee der Fussball-Weltmeisterschaft 2006 sowie der Skandal um gefälschte Abgaswerte im VW-Konzern zeigen: Organisationen müssen sich vor Handlungen von Mitarbeitern schützen, die manchmal vermeintlich gut gemeint sind, aber letztlich erheblichen Schaden anrichten.
Das Fraud Triangle
In einem unserer letzten Beiträge hatten wir uns mit der Frage beschäftigt, wann Fraud, also Betrug, Schwindel, Korruption oder Unterschlagung, in Unternehmen entsteht. Dort hatten wir das Fraud Triangle des amerikansichen Kriminologen Donald Ray Cressey (1919-1987) vorgestellt.
Danach sind die entscheidenden Voraussetzungen
- ein Anreiz, etwa aus aus persönlichem Nutzen, durch schnelle oder unkomplizierte Lösung eines Problems oder aufgrund hohen Drucks
- eine Gelegenheit, etwa aufgrund unklarer Zuständigkeiten oder unzureichender Kontrollen
- und eine moralische Rechtfertigung der Handlungen: „Das war ja nur zum Wohl des Unternehmens“, „Das machen doch alle so…“.
Ob und inwiefern diese Voraussetzungen im Fall der WM-Vergabe 2006 erfüllt waren, möge jeder Leser selbst entscheiden. Doch damit ist es nicht getan. Gerade der VW-Abgasskandal zeigt, dass es meist einer vierten Dimension bedarf, damit Fraud entstehen kann.
Der Fall VW
„Diesel Gate“ weist nämlich nicht nur die drei typischen Merkmale des Fraud Triangles auf. Hinzu kommt eine Dimension, die 2004 von David T. Wolfe, Gründer der Glasgow Forensic Group mit Sitz in Atlanta, und Dana R. Hermanson, Professor für Accounting am Coles College der Kennesaw State University, ergänzt wurde: „Capability“.
Damit ist gemeint, dass es in der Organisation eine Person oder Personengruppe gibt, die aus eigener Initiative oder auf Veranlassung die drei Punkte des Fraud Triangles zu erkennen, auszunutzen und umzusetzen weiß. „Who could turn an opportunity for fraud into reality?“
Die sechs Merkmale der Capability
Die 6 typischen Merkmale der „Capability“ des typischen Fraudsters sind demnach:
- Er hat eine entsprechende Machtposition bzw. Funktion im Unternehmen. Deshalb finden überdurchschnittlich viele Betrugs-, Manipulations- und Korruptionsfälle auf oberen Unternehmensebenen bzw. mit deren Wissen und Billigung statt.
- Er hat die nötige fachliche Kompetenz und ‚kriminelle Kreativität‘. Er ist meist intelligent und berufserfahren, ‚kennt die Spielregeln‘ und erfasst so die bestehenden Sicherheitslücken bzw. ‚Handlungsspielräume‘, um sich Vorteile zu verschaffen oder Probleme ‚unkonventionell‘ zu lösen.
- Er verfügt über ein starkes Ego bis hin zur Arroganz. Dies drückt sich im Glauben aus, so raffiniert zu sein, nicht erwischt zu werden oder sich dann schon irgendwie herausreden zu können.
- Er ist Meister der Manipulation, kann andere gutgläubige Organisationsmitglieder ‚einwicklen‘, ausnutzen und diese teils bewusst, teils unbewusst für seine Zwecke einspannen.
- Er ist ein guter Lügner, indem er nicht nur glaubwürdig Einzellügen kommunizieren kann, sondern ganze Lügengebäude konstruiert und diese lange Zeit aufrecht erhält.
- Er ist stressresistent. Illegale Aktivitäten über einen langen Zeitraum geheim zu halten, mit der Angst vor Aufdeckung zu leben und im Fall von Kontrollen nicht die Nerven zu verlieren, erfordert eine hohe Belastbarkeit.
Das Fraud Diamond
Ergänzt man das Fraud Triangle nun um die Dimension „Capability“ erhält man das Fraud Diamond.
Am Beispiel des VW-Abgasskandals erkennt man, wie wichtig wie Dimension ‚Capability‘ tatsächlich ist: Alle Aspekte des „Diesel Gate“ wären ohne diese zusätzliche Dimenension zum Fraud Triangle kaum umsetzbar gewesen – von der grundsätzlichen Idee der Motorenmanipulation über deren technische Umsetzung bis hin zur jahrelangen Verschleierung der Vorgänge im Konzern.
Damit zeigt sich an diesen Beispielen wieder einmal – wie schon in den inzwischen zu Klassikern gewordenen Fallstudien zum Fraud Managment wie Wordcom, Enron und Barings Bank – ein Muster.
Gibt es nun neben strengeren Kontrollen und einem genaueren Berichtswesen andere Möglichkeiten für Unternehmen, sich gegen Fraud zu schützen? Und welche Rolle spielt dabei das Human Resource Management?
Diesen Fragen werden wir im Rahmen eines unserer nächsten Blogs nachgehen.
Autor: Prof. Dr. Michael Knörzer, Leiter Center of Expertise, APRIORI business solutions AG