“No Jacket Required”!? – Der Dresscode der virtuellen Arbeitswelt – Teil 1
“No jacket required” war nicht nur ein sehr erfolgreiches Album von Phil Collins aus den 1980er Jahren (die älteren Leser erinnern sich vielleicht); es scheint auch die Einschätzung vieler Bewerber zu beschreiben, sich in virtuellen Bewerbungsgesprächen zu präsentieren. Ob man damit richtig liegt oder nicht? Unser Blog gibt Hinweise für den angemessenen Bewerbungsauftritt via Zoom, Teams, Webex, Meet etc.
Laszlo Bock, früherer Senior Vice President bei Google und dortiger Leiter von People Operations, beschreibt in seinem Buch “Work Rules!” folgende Situation:
Im Jahr 2006 wurde Bock nach drei Jahren bei GE von Google als Leiter der Personalabteilung angeworben. Die zuständige Recruiterin, Martha Josephson, riet ihm, zum Vorstellungsgespräch keinen Anzug zu tragen: „Niemand trägt hier Anzüge, und sie könnten denken, dass Du unsere Kultur nicht verstehst.“ Bock folgte ihrem Rat, nahm jedoch vorsichtshalber eine Krawatte mit, die er in seiner Jackentasche versteckte. Einige Jahre später führte er selbst ein Bewerbungsgespräch mit einem Kandidaten, der in einem brandneuen, eleganten Nadelstreifenanzug erschien. Obwohl Anzüge bei Google unüblich waren, war der Bewerber so beeindruckend, dass klar war, dass er eingestellt werden würde. Zum Abschluss des Gesprächs meinte Bock: „Brian, ich habe gute und schlechte Nachrichten. Die gute: Sie werden ein Angebot bekommen. Die schlechte: Sie werden diesen Anzug nie wieder tragen.“ (Laszlo Bock: Work Rules!: Insights from Inside Google That Will Transform How You Live and Lead. Twelve, Boston/New York 2015, Seite 4)
Zumindest gefühlt nimmt bei Recruitern die “Gefahr”, insbesondere in virtuellen Bewerbungsgesprächen einem übertrieben gut gekleideten Kandidaten zu begegnen, ab. Und natürlich sollte das Auftreten und damit die Kleidung auch zum Unternehmen, bei dem man sich bewirbt, passen. Doch ganz unabhängig davon gibt es gute Gründe, auch in virtuellen Interviews auf ein gepflegtes Äußeres zu achten, weiß David Knoll, Personalberater für den Bereich IT am Berliner Standort von APRIORI: “Bewerber sollten selbstverständlich die firmenkulturellen Erwartungen ihres potenziellen künftigen Arbeitgebers erfüllen. Viele Unternehmen haben bestimmte Dresscodes, auch für Online-Meetings. Ein Jacket muss es nun nicht immer sein, gerade in IT-Unternehmen. Aber ein seriöses Business-Hemd ist auch hier ein Mindeststandard für einen professionellen ersten Eindruck. Und der zählt auch im Videointerview. Ein Hemd signalisiert Seriosität und Professionalität, was in einem Vorstellungsgespräch besonders wichtig ist, um Vertrauen aufzubauen. Denn viele Gesprächspartner haben auch unbewusste Erwartungen an die Kleidung von Bewerbern”. Tatsächlich werden solchen nonverbalen Signale, die auch über die Kleidung kommuniziert werden, wahrgenommen und zumindest implizit von den Gesprächspartnern verarbeitet, ergänzt Prof. Dr. Michael Knörzer vom APRIORI HR:LAB das Argument aus wissenschaftlicher Perspektive, sich auch und gerade in Online-Bewerbungsgesprächen mit der Bekleidungskultur des Unternehmens zu beschäftigen: “Der Organisationspsychologe Edgar Schein (1928-2023, die Red.) hätte den Dresscode in die Kategorie der ‘Artefakte’ eingeordnet; eine der drei Ebenen, die die Unternehmenskultur beschreiben. Insofern suchen Menschen auch bewusst wie unbewusst nach Hinweisen, ob hier jemand im wahrsten Sinne des Wortes ‘passt’. Ist das gegeben, wird üblicherweise viel schneller Vertrauen und Sympathie aufgebaut, als wenn es hier zu einem ‘Mismatch’ kommt”.
Wie findet man aber den passenden Stil zwischen zu formell und zu leger? “Wenn Sie über eine Personalberatung vermittelt werden, dann würde ich als erstes den Personalberater aktiv darauf ansprechen, wenn sie sich unsicher sind”, empfiehlt David Knoll: “Er kennt das Unternehmen meist schon sehr gut und kann wertvolle Tipps geben. Durch eine bewusste Wahl der Bekleidung auch im virtuellen Bewerbungsgespräch zeigen Sie in jedem Fall Anpassungsfähigkeit, sich im beruflich Kontext situativ einstellen zu können”. Und sonst? “Schauen Sie sich den Internetauftritt des Unternehmens gut an. Das kann die Karriereseite, ein Berufsnetzwerk oder Social Media sein. Überall finden sie Fotos, wie sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter offiziell bis semioffiziell präsentieren. Denn so sieht sich das Unternehmen oder will sogar Damit können Sie einen sehr guten Eindruck vom Unternehmensdresscode gewinnen”, ergänzt Prof. Knörzer, “Vielleicht sogar von ihren unmittelbaren Gesprächspartnern im Bewerbungsgespräch. Solche Similaritätseffekte sind nicht zu unterschätzen. Sie bewirken oft eine positiven Bias zugunsten des Bewerbers”.
Welche weiteren Aspekte dafür sprechen, sich auch und gerade bei Online-Interviews Gedanken über die Kleidung zu machen, behandeln wir im zweiten Teil unseres Blogs.