Wieder die Ökonomie: Die Kurzarbeit verlängert die Krise
- Die Kurzarbeit gilt als das wichtigste Werkzeug, um eine drohende Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden.
- Dazu hat der Bund die Zahlung von Kurzarbeitergeld bis Ende 2021 verlängert.
- Ökonomen warnen: Eine Überstrapazierung des Instruments könnte eine Jahrhundertrezession auslösen.
Kurzarbeit: Die aktuelle Lage im Überblick
Um die schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise für Unternehmen abzufedern, hat der Bund die Kurzarbeit verlängert. Beschäftigte können Kurzarbeitergeld nun 24 statt wie bisher zwölf Monate beziehen. Ein Schritt, der die Planungssicherheit von Unternehmen bis Ende 2021 erhöhen soll. Arbeitsminister Hubertus Heil bemüht in diesem Zusammenhang gerne das Bild einer „stabilen Brücke“, die über ein „tiefes wirtschaftliches Tal“ führt.
Wirtschaftsexperten sind jedoch weit entfernt von dieser romantischen Wahrnehmung und warnen: Nach Auslaufen des Förderzeitraums könnte Heils Brücke relativ schnell in sich zusammenbrechen und eine Jahrhundertrezession auslösen. Denn die Kurzarbeit ist eigentlich als Tool gedacht, um kurzfristige wirtschaftliche Schwankungen auszugleichen. Fraglich ist allerdings, wie sich das Instrument der Kurzarbeit langfristig auswirkt. Wir diskutieren verschiedene Szenarien und Alternativen zur Kurzarbeit.
#1 Kurzarbeit entpuppt sich langfristig als Hemmschuh der Wirtschaft
„Um das einmal klarzustellen: In der Hochphase der Corona-Pandemie wurden Unternehmen von dem Tempo der Entwicklungen regelrecht überrollt. Auf die Situation war keiner vorbereitet. Es war gut, dass der Staat hier einsprang und Hilfen für die Überbrückung der Krise anbot. Die Kurzarbeit hat sich bereits in der Finanzkrise als äußerst wirkungsvoll erwiesen“, resümiert Professor Michael Knörzer, Leiter des HR:Labs von Apriori. Die Erhöhung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate betrachtet der Autor der APRIORI-Studie „Adaptive Workforces“ allerdings kritisch. „Es besteht die Gefahr, dass nicht wettbewerbsfähige Firmen künstlich am Leben gehalten werden.“
Co-Autor und Vorstand bei APRIORI, Sebastian Berblinger, geht sogar noch einen Schritt weiter und warnt gar vor einer regelrechten „Zombifizierung der Wirtschaft“. „Hochkarätige Arbeitnehmer, die sich in Kurzarbeit befinden, könnten wegen der aktuellen Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt weniger motiviert sein, nach neuen Jobs zu suchen. So verharren wichtige High Potentials unter Umständen auf Positionen in langsam dahinsiechenden Zombifirmen, die früher oder später ohnehin wegfallen. An anderer Stelle würden sie aber schon jetzt gebraucht und könnten einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung leisten.“
#2 Verlängerung der Kurzarbeit hemmt die Veränderungsbereitschaft der Unternehmen
Hinzu kommt: Mit der Verlängerung der Kurzarbeit spricht die Bundesregierung Unternehmen indirekt von der Pflicht frei, schnellstmöglich aus eigener Kraft Konzepte auszuarbeiten, um künftig auf unvorhersehbare Szenarien vorbereitet zu sein. So lange der Staat in die Presche springt, haben Organisationen keine Not, ihre Strukturen und Prozesse zu überdenken und krisensicher zu machen. Das kann fatale Folgen haben.
Denn niemand weiß, ob nicht schon die nächste Pandemie in den Startlöchern steht. Auch die zunehmenden politischen Unruhen auf der Welt sind ein erheblicher Unsicherheitsfaktor. Ebenso steigt die Bedrohung durch Hackerangriffe auf global agierende Organisationen. Faktoren wie diese können eine immer stärker vernetzte Wirtschaft schnell ins Ungleichgewicht bringen.
Immerhin baut im Zeitalter der Globalisierung ein wirtschaftlicher Prozess nahtlos auf den anderen auf – und das weltweit. Funktioniert in diesem filigranen Gewebe ein Workflow nicht, wie er soll, liegen schnell ganze Industrien brach. In der Corona-Zeit wurden wir zum Beispiel Zeuge davon, wie abhängig die Autoindustrie bereits von ausländischen Lieferbetrieben ist. Weil diese während des Lockdowns nicht mehr in gewohnter Manier produzieren konnten, standen auch hierzulande die Bänder still. Der Staat könne in Zukunft aber nicht immer jedes unternehmerische Risiko abfangen, konstatiert Michael Knörzer. „Was passiert etwa, wenn die staatlichen Kassen leer sind, die nächste Krise über uns hereinbricht und Unternehmen wieder ohne tragfähiges Konzept dastehen? Über die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Szenarios möchte man gar nicht nachdenken.“
#3 Kurzarbeit zementiert Arbeitsverhältnisse
Die Lösung: Die Wirtschaft muss wendiger und agiler werden, um auf plötzliche Krisen adäquat reagieren zu können. Dazu dürfen Arbeitsverhältnisse nicht zementiert werden, wie soeben durch die Verlängerung der Kurzarbeit geschehen. Im Gegenteil muss sich der Arbeitsmarkt nach kurzer Zeit wieder selbst regulieren. „Wir sind bei der Ausarbeitung unserer Studie zu der Einsicht gelangt, dass Beschäftigungsstrukturen künftig erheblich anpassungsfähiger gehalten werden müssen, um künftig schneller auf unvorhergesehene Gegebenheiten in immer volatileren Märkten reagieren zu können. Das ist der Hebel, mit dem Unternehmen auf eine Krise reagieren können“, betonen die APRIORI-Experten Professor Michael Knörzer und Sebastian Berblinger.
Das Prinzip: Unternehmen halten nur eine kleine Stammbelegschaft mit unternehmensspezifischen Qualifikationen vor und greifen nach Bedarf auf eine größere Restbelegschaft zurück. Sie besteht aus flexibel einsetzbaren Freelancern, Zeitarbeits- oder Aushilfskräften. Bei einem hohen Auftragsniveau lässt sich die Restbelegschaft ebenso schnell aktivieren, wie sie sich bei Auftragsflauten ohne nennenswerte Kosten und Verpflichtungen wieder deaktivieren lässt. „Nach unserer Auffassung ist die Gestaltung eines optimalen Verhältnisses von Stamm- und Randbelegschaft die zentrale Herausforderung eines modernen Strategischen Human Ressources Managements (SHRM) der Zukunft“, resümiert Professor Michael Knörzer.
Fazit: So machen sich Unternehmen fit für die Zukunft
Dazu müssten allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Zum Beispiel müsste die Gesetzgebung wie etwa die Regelungen zur Scheinselbstständigkeit oder auch die Maximaldauer bei der Arbeitnehmerüberlassung aufgeweicht werden. Auch die Hürden und Risiken, sich selbstständig zu machen, müssten gemildert werden. So könnten Arbeitnehmer künftig deutlich einfacher nach Bedarf genau dort eingesetzt werden, wo ihre Expertise benötigt wird.
Ein solches Arbeitsmarktmodell käme auch vielen Arbeitnehmern entgehen, ist sich Michael Knörzer sicher: „Wenn Arbeitnehmer zum Beispiel parallel oder nacheinander recht unkompliziert und ohne rechtliche Fallstricke und Konsequenzen für mehrere Arbeitgeber tätig sein können, verharren sie nicht so schnell in einem fachlichen Tunnel, denn sie erhalten von vielen Seiten Impulse. Das ist erheblich abwechslungsreicher und macht auf Dauer zufriedener. Davon profitieren alle.“ Knörzer hat Recht. Laut einer Xing-Studie kann sich jeder zweite Angestellte in Deutschland vorstellen, zum Beispiel freiberuflich zu arbeiten.
Unabhängig von den Weichenstellungen der Politik sollten auch Unternehmen mit Blick auf eine immer unwägbarere und schnelllebigere Zukunft für sich zeitnah die Frage klären, wie viele Mitarbeiter aufgrund ihres strategischen und fachlichen Wissens und ihrer Qualifikationen zum „Stamm“ des Unternehmens gehören sollen und wie viele Ressourcen über Zeit- und Leiharbeiter, freie Mitarbeiter oder über externe Dienstleister abgedeckt werden können. Hier müsse jedes Unternehmen sein eigenes Modell entwickeln. „Aus unserer Sicht wird dieses aber zu DER erfolgskritischen Frage der Unternehmensführung der Zukunft werden“, sind sich Berblinger und Knörzer sicher.
Wie könnte Ihre neue Form des strategischen Human Resources Managements konkret aussehen? Erhalten Sie wertvolle Impulse in unserer APRIORI-Studie „Adaptive Workforces“.